Sozialhilfe trotz Ausbildung?

02.09.2002 16:05
avatar  Kai-Uwe ( gelöscht )
#1
Ka
Kai-Uwe ( gelöscht )

Es ist schon wieder mindestens sieben Jahre her, daß ich das Seminar "Sozialhilferecht" belegt habe (seufz!). Deshalb meine Frage: Welche Möglichkeiten hat ein 19 Jähriger, in beruflicher Erstausbildung (der Zuhause rausgeworfen wurde und zuwenig Ausbildungsentgelt erhält) Hilfe zum Lebensunterhalt zu bekommen? Nach 4,5 stündiger Wartezeit im Amt hat uns die Sachbearbeiterin wieder nach Hause geschickt, weil sie keinen Härtefall erkennen kann. Das Problem besteht darin, daß er ohne Zusage des Sozialamtes auch keine Wohnung bekommt. BAB (Berufsausbildungsbeihilfe) wird erst bewilligt, wenn er eine Wohnung hat. Leider habe ich keine Möglichkeit, in den Frankfurter Kommentar zum BSHG zu schauen, deshalb bin ich über jeden Tip sehr dankbar. Ich will es der Sachbearbeiterin jetzt heimzahlen! Danke, Kai


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02.09.2002 22:45
avatar  UJ ( gelöscht )
#2
UJ
UJ ( gelöscht )

>Es ist schon wieder mindestens sieben Jahre her, daß ich das Seminar "Sozialhilferecht" belegt habe (seufz!). Deshalb meine Frage: Welche Möglichkeiten hat ein 19 Jähriger, in beruflicher Erstausbildung (der Zuhause rausgeworfen wurde und zuwenig Ausbildungsentgelt erhält) Hilfe zum Lebensunterhalt zu bekommen? Nach 4,5 stündiger Wartezeit im Amt hat uns die Sachbearbeiterin wieder nach Hause geschickt, weil sie keinen Härtefall erkennen kann. Das Problem besteht darin, daß er ohne Zusage des Sozialamtes auch keine Wohnung bekommt. BAB (Berufsausbildungsbeihilfe) wird erst bewilligt, wenn er eine Wohnung hat. Leider habe ich keine Möglichkeit, in den Frankfurter Kommentar zum BSHG zu schauen, deshalb bin ich über jeden Tip sehr dankbar. Ich will es der Sachbearbeiterin jetzt heimzahlen! Danke, Kai


Hi,
wenn ich mich an meine BSHG-Vorlesung richtig erinnere, was erst ein paar Monate her ist, dann seh ich da eigentlich kein Problem, und einen Komentar durchzulesen sollte eigentlich überflüssig sein.
Für mich stellt sich die Sachlage aufgrund Deiner Infos folgendermaßen dar:
1. Bei einer Erstausbildung sind die Eltern oder der existierende Elternteil verpflichtet, diese zu finanzieren, also ist da auch kohlemäßig die erste Anlaufstelle. Bei einer Weigerung besteht die Möglichkeit des Rechtsweges. Wenn die Eltern nicht zahlen können, kann Dein Klient problemlos Sozikohle beantragen, und das Amt nimmt dann (zumindest theoretisch) den eigentlich Zahlungspflichtigen in die Pflicht (blöd formuliert!).
2. Ich seh da keine Notwendigkeit einer Härtefallregelung. Wenn die ELtern ihn rausgeworfen haben, haben sie damit indirekt einer gesetzlichen Verpflichtung (kann man zumindest so auslegen) zur Unterstützung des Kindes in einem eigenen Haushalt zugestimmt. Der Rest ist einkommensabhängig. Bei einem normalen Lehrlingslohn dürfte Dein Klient weit unterhalb des Sozialhilfesatzes + eventuellem Mehrbedarf + Kosten für Wohnung/Heizung + eventuelle Hilfen in besonderen Lebenslagen liegen. Was kriegt Dein Klient denn an Entgelt?
Eine Kostenübernahme für Miete/Heizung durch das Sozi sollte eigentlich kein Thema sein, vielleicht solltest Du die Sachbearbeiterin mal daran erinnern, daß es sowas wie Rechtsbeugung gibt. Übrigens, § 11 (1) BSHG: "Hilfe zum Lebensunterhalt ist dem zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann [...]."
Die könnten höchstens versuchen, die Sache aufgrund der Nachrangigkeit des Sozialhilfeanspruches hinauszuzögern und (zu Recht) auf die Verpflichtung der Eltern hinzuweisen. Wie gesagt, muß das Amt aber bei einer Weigerung der Verpflichteten trotzdem erst mal zahlen. Die Sicherung der Unterkunft ist übrigens ein besonderes Anliegen des BSHG, vielleicht solltest Du noch mal kurz einige Paragraphen dazu überfliegen ...
Bye, UJ


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22.09.2002 23:50
avatar  Kai-Uwe ( gelöscht )
#3
Ka
Kai-Uwe ( gelöscht )

Hallo "UJ",

vielen Dank für deine ausführliche Antwort.

Also eigentlich sind die Eltern dazu verpflichtet seine Erstausbildung zu finanzieren. Glücklicherweise ist das auch seine erste Ausbildung, unglücklicherweise haben die Eltern sich aber grade getrennt. Die Mutter wird nun selbst vom Soz. finanziert, und der Vater geht irgendwas auf dem Bau arbeiten. Somit wäre der Vater dann wohl unterhaltspflichtig.

Der junge Mann bekommt übrigens knapp 300 Euro monatlich, und eine kleine Wohnung würde 210 Euro kosten.

Weisst du denn eigentlich noch, wo im BSHG geschrieben steht, dass AZUBIs keinen Anspruch auf HzL haben? Ehemalige Klienten haben nämlich trotz einer Ausbildung ihre Wohnkosten vom Amt finanziert bekommen. Ich weiss nur nicht, wie die das hinbekamen.

Na ja, ich merke schon, dass ich mich viel besser vorbereiten muss. Du hast mir jedenfalls wieder Mut gemacht.

Gruss, Kai


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23.09.2002 00:24
avatar  Kai-Uwe ( gelöscht )
#4
Ka
Kai-Uwe ( gelöscht )

Nun bin ich dabei mich schlauer zu machen. Wie kann man diesen Paragraphen zu Gunsten meines Klienten auslegen. Im Grund verweist der §26 ja auf die Nachrangigkeit des BSHG gegenüber der Hilfe durch das Arbeitsamt (BAB). Somit müsste es erst eine Ablehnungsbescheid des AA gegben, ehe das Soz. sich zuständig fühlt, oder?

BSHG § 26 Sonderregelung für Auszubildende

(1) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder des §§ 60 bis 62 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt. In besonderen Härtefällen kann Hilfe zum Lebensunterhalt als Beihilfe oder als Darlehen gewährt werden.

(2) Absatz 1 findet keine Anwendung auf Auszubildende,
1. die auf Grund von § 2 Abs. 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung oder auf Grund von § 64 Abs. 1
des Dritten Buches Sozialgesetzbuch keinen Anspruch auf
Berufsausbildungsbeihilfe haben oder
2. deren Bedarf sich nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 des
Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder nach § 66 Abs. 1 Satz 1 des
Dritten Buches Sozialgesetzbuch bemißt.


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23.09.2002 10:05
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#5
UJ
UJ ( gelöscht )

"vielen Dank für deine ausführliche Antwort."

Bitte, bitte, nix zu danken, kann ich wenigstens ein bißchen üben .... :-)

"Die Mutter wird nun selbst vom Soz. finanziert, und der Vater geht irgendwas auf dem Bau arbeiten. Somit wäre der Vater dann wohl unterhaltspflichtig."

Eigentlich sind trotzdem beide zur Finanzierung verpflichtet, allerdings gilt es dabei die Düsseldorfer Tabelle wegen des Selbstbehaltes zu beachten, weswegen die Mutter wohl aus dem Rennen ist.

"Der junge Mann bekommt übrigens knapp 300 Euro monatlich, und eine kleine Wohnung würde 210 Euro kosten."

Mit 300 EUR liegt er ein ganzes Eckchen über dem Regelsatz, klar. Übrigens wie siehsts mit einer alternativen Unterkunft bei der Mutter aus? Er hätte zwar von seiner Kohle dann nur noch einen Selbstbehalt von ca. 143,42 EUR (nach DV, nach RS ca. 105 EUR), aber besser als nix ...

"Weisst du denn eigentlich noch, wo im BSHG geschrieben steht, dass AZUBIs keinen Anspruch auf HzL haben? Ehemalige Klienten haben nämlich trotz einer Ausbildung ihre Wohnkosten vom Amt finanziert bekommen. Ich weiss nur nicht, wie die das hinbekamen."

Eigentlich steht das da so explizit gar nicht drin, wenn ich mich richtig erinnere. Es gibt aber Einschränkungen hinsichtlich Ausbildungen, für die BAföG gezahlt werden kann, also für Studium und für viele vorrangig schulische Ausbildungen, z.B. Erzieher usw. Das liegt daran, daß BAföG-Kohle als Geld zum Lebensunterhalt angesehen wird und deshalb die Sozialhilfe demgegenüber nachrangig ist. Macht Dein Klient eine handwerkliche Ausbildung (Lehre) sieht das anders aus. Für BAföG schau mal hier: http://www.das-neue-bafoeg.de/gesetz_bafoeg_default.htm.
Macht er eine handwerkliche Ausbildung, steht ihm übrigens genauso viel Selbstbehalt seines Verdienstes zu, als wenn bei Seiner Mutter leben würde. Unten ist eine kleine Rechnung aufgeführt, aus der der Selbstbehalt und der anzurechnende Betrag hervorgeht.
Für BAB kannst Du hier nachsehen: http://www.arbeitsamt.de/hst/services/li...tml#§%2063.
Aus welchem Grund lehnt das AA denn BAB ab?

"Nun bin ich dabei mich schlauer zu machen. Wie kann man diesen Paragraphen zu Gunsten meines Klienten auslegen. Im Grund verweist der §26 ja auf die Nachrangigkeit des BSHG gegenüber der Hilfe durch das Arbeitsamt (BAB). Somit müsste es erst eine Ablehnungsbescheid des AA gegben, ehe das Soz. sich zuständig fühlt, oder?"

Im Prinzip ja, allerdings seh ich nicht, daß er nicht förderungswürdig (für BAB) ist, es sei denn, er ist noch bei einem Elternteil gemeldet. Dann einfach woanders an- oder ganz abmelden und vom Einwohnermeldeamt den entsprechenden Schrieb vorlegen (das war übrigens keine Rechtsberatung, nur meine Meinung).
Besteht das AA aber auf der Ablehnung, könnte es sein, daß ihr erst den Rechtsweg gehen müßt, aber da bin ich mir momentan auch nicht ganz sicher.

______________________________________
Frei- bzw. Anrechnungsbetragsberechnung für erwerbstätige Sozialhilfeempfänger
****

Für Person:
Haushaltsmitglied 19 Jahre oder älter

Bereinigtes Einkommen:
300

Berechnung nach:
Regelsatz

Bundesland:
Nordrhein-Westfalen (10)

Sockelbetrag:
71,71 EUR

Höchstmöglicher Selbstbehalt:
143,42 EUR

Auf die Sozialhilfe anzurechnender Betrag:
194,31 EUR

Dieser Betrag steht dem Hilfeempfänger zu:
105,99 EUR

Berechnet mit §76IIa.exe
(C) 2001 by UJ - FLEDISoft
http://www.fledisoft.short.de
fledi@fledisoft.short.de

Bye, UJ


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23.09.2002 22:30
avatar  Kai-Uwe ( gelöscht )
#6
Ka
Kai-Uwe ( gelöscht )

Hallo UJ,

diesmal keinen Dank, dafür aber Anerkennung meinerseits!

Ich habe meine Taktik jetzt etwas geändert, und werde vorerst versuchen das AA anzuzapfen. Deine links sind sehr gut, die site vom AA hatte ich auch schon gefunden. Anhand der Regelungen zur BAB ergeben sich ganz positive Aussichten für meinen Klienten. Das einzige Problem ist, daß er dafür nicht mehr bei seinen Eltern leben darf. Gemeldet ist er zwar noch bei seinem Vater, aber dort kann er aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht leben. Seine Mutter hat nur eine einräumige Sozialwohnung. Das Jugendamt hat mir darüberhinaus angetragen, seine Verselbständigug zu fördern. Da bleibt also nur eigener Wohnraum...

Wenn nächsten Montag alles gut läuft, wird sein Vater ihm einen seltenen Liebesdienst erweisen und für seine neue Wohnung eine Bürgschaft abgeben. Gleich darauf wird dann ein Mietvertrag unterschrieben. Der fusst zwar auf sehr wackeligen und tönernden Füßen aber erst dann fühlt sich das AA zuständig. dann braucht er auch keine gefakte Anmeldung.

Sicher werden wir (er) nach einer BAB-Zusage nochmal zum Soz. gehen und einfach einen Antrag auf HzL stellen. Ergänzend dürfte ja trotzdem noch etwas herausspringen, hoffe ich .

Das Hauptproblem ist einfach, daß es BAB nur mit eigenem Wohnraum gibt, und das Sozialamt sich wegen des §26 nicht zuständig fühlt. Wenn mein Klient also keine Ausbildung machen würde, würde er schon längst alimentiert in seiner schnuckeligen Neubauwohnung leben. Das darf ich ihm aber nicht sagen...

Meinst du, daß man so ein geniales Program, wie "§76IIa.exe" auch für BAB schreiben kann? Die Bestimmungen erscheinen mir jedenfalls übersichtlicher. Netterweise orientiert sich die BAB eng am BAFÖG. Wo kann ich "§76IIa.exe" denn mal runterladen?

Nun aber doch dicken Dank,
Kai


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25.09.2002 09:33
avatar  UJ ( gelöscht )
#7
UJ
UJ ( gelöscht )

Hi,
wenn das alles klappt, ist ja gut, viel Erfolg! :-)

"Meinst du, daß man so ein geniales Program, wie "§76IIa.exe" auch für BAB schreiben kann? Die Bestimmungen erscheinen mir jedenfalls übersichtlicher. Netterweise orientiert sich die BAB eng am BAFÖG. Wo kann ich "§76IIa.exe" denn mal runterladen?"

Prinzipiell kann man für alles ein Prog schreiben, sofern man die Berechnungsgrundlagen hat. Ich hab mir das für BAB mal näher angesehen, scheint nicht sehr kompliziert zu sein, allerdings muß ich noch die entsprechenden §§ durchlesen ...
Das P76II (Beta-Version) kann man unter dem link unten downloaden.
Bye, UJ


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