Ist die Ausbildung noch zeitgemäß? Ein Streitbeitrag

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19.03.2004 18:16
avatar  Kolja Richter ( gelöscht )
#16
Ko
Kolja Richter ( gelöscht )

Der Forderung nach einer Anhebung der Ausbildung auf Hochschulniveau stehe ich sehr mißtrauisch gegenüber. Ich habe damals nicht den Weg der Erzieherausbildung eingeschlagen, sondern in England studiert und den M.A. in Education erworben. Nach 6 sehr erfolgreichen Jahren in der offenen Kinder- und Jugendarbeit, wollte ich im Kindergarten arbeiten. Und durfte es nicht, weil mein Abschluss in der Fachkräftevereinbarung nicht vorkam. Ein Antrag auf Anerkennung meines Studiums als gleichwertig mit der deutschen Erzieherausbildung wurde abgelehnt. Jetzt bin ich kurz davor, meine Erzieherausbildung zu beenden, die ich machen musste, weil mein Staat der Meinung war, dass Erzieher und nur Erzieher qualifiziert sind, im Kindergarten zu arbeiten. Und ich bin nicht mal fertig, schon fällt dem Staat ein, dass ich immer noch nicht qualifiziert genug bin. Ich habe langsam keinen Bock mehr alle paar Jahre zum Spielball einer inkompetenten Bildungspolitik zu werden, zumal ich mich immer um die bestmögliche Ausbildung bemüht habe und dafür auch große finanzielle Aufwendungen in Kauf genommen habe.

Wenn Ausbildung auf Hochschulniveau diskutiert wird (was ich für sehr angemessen halte), dann muss man auch erklären, was mit den jetzigen Fachkräften geschehen soll, denen leider keine bessere Ausbildung ermöglicht wurde. Man muss sich in diesem Zusammenhang einmal vor Augen führen, dass auch Diplom-Pädagogen in Deutschland nicht im Kindergarten eingesetzt werden dürfen. Insofern wurde jahrelang signalisiert, dass Akademiker im Elementarbereich unerwünscht sind. Ich halte es für niederträchtig, die jetzigen Fachkräfte dafür abzustrafen, dass sie sich diesen berufspolitischen Zwängen beugen mussten. Ich kenne persönlich sehr viele Erzieherinnen, die gerne studiert hätten, aber damals keine adäquate Ausbildung vorfanden. Jetzt sind sie 50 und dürfen in der Zeitung lesen, an den miesen PISA-Ergebnissen schuld zu sein.

Bei der Diskussion um eine Anhebung des Ausbildungsniveaus sollte man ferner nicht vergessen, welche wichtige Rolle die Berufserfahrung spielt. Ich bin mittlerweile 30, arbeite seit 8 Jahren mit Kindern, habe an der Uni studiert, mehrere Zusatzausbildungen gemacht und Berufserfahrungen im Ausland gesammelt. Trotzdem sehe ich immer noch bewundernd zu machen Kolleginnen auf, die "nur" Realschulabschluss und Erzieherausbildung gemacht haben (oder gar Kinderpflegerinnen sind). Bloß weil ich einen akademischen Titel trage, kann ich noch lange nicht deren 30-jährige Erfahrung wettmachen.

Ich möchte daher wissen, wie der Übergang gestaltet werden soll, ohne dass man eine ganze Generation abqualifiziert.

Zu der ach so schlechten Ausbildung an der Fachschule nur so viel: Ich habe den direkten Vergleich zwischen Uni und Fachschule. Insofern glaube ich durchaus, etwas zu der Qualität der Fachschulausbildung sagen zu können. Was an meiner Fachschule, dem Thomas-Esser-Berufskolleg in Euskirchen, inhaltlich vermittelt wird, halte ich für sehr praxisbezogen und nützlich. An meiner Fachschule liegt es jedenfalls nicht, wenn die Erzieherausbildung in Deutschland schlecht ist. Ich glaube, dass es eher daran liegt, dass die begabtesten jungen Menschen einen großen Bogen um diesen Beruf machen, dessen Image mit "mies" noch beschönigend beschrieben wäre.

Wer ernsthaft Verbesserungen im Elementarbereich will, dem empfehle ich einmal in drei Richtungen zu denken:
1. Wieviel Arbeitszeit gestehen wir einer Erzieherin pro Woche zu, um das pädagogische Programm zu planen? Nach meiner Erfahrung erledigen Erzieherinnen den überwiegenden Teil der Vorbereitung und Planung außerhalb der Dienstzeit. Wenn man den wichtigsten und qualifiziertesten Teil der Arbeit zum wünschenswerten aber letztlich monetär nicht gewürdigten privaten Engagement macht, dann darf man sich nicht wundern, wenn nicht jeder bereit ist, sich dergestalt selbst auszubeuten.
2. Welche Wertschätzung erfährt der Elementarbereich und die Menschen, die dort arbeiten? Ich glaube gerne, dass diejenigen, die sich um eine Verbesserung der Ausbildung bemühen, genau das im Hinterkopf haben: Eine Aufwertung des Elementarbereiches. De facto passiert aber das Gegenteil. Täglich kann man in der Zeitung lesen, dass die im Elementarbereich geleistete Arbeit nichts taugt und die Erzieherinnen schon gar nichts. Dann darf man sich auch nicht wundern, wenn gute Abiturienten keinen Bock haben, Erzieher zu werden.
3. Ist die geleistete Arbeit tatsächlich so schlecht? Wir haben in Deutschland hervorragende Konzepte, die in die Ausbildung der Erzieherinnen eingeflossen sind. Als ein Beispiel unter vielen nenne ich den Situationsansatz, der zwar einige Jahre auf dem Buckel hat, aber mir gerade vor der Herausforderungen der Wissensgesellschaft unglaublich modern erscheint. Derweil haben andere Länder einen eher schulisch orientierten Elementarbereich. Man täte gut daran, bei einer Reform der Ausbildung das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten, und auch zu bedenken, was an der gegenwärtigen Elementarpädagogik in Deutschland gut ist. Wer die bisherigen Erfahrungen nutzen will, der muss aber auch diejenigen ernst nehmen, die in den letzten Jahrzehnten die Elementarpädagogik in Deutschland getragen haben. Der sollte die Reform der Ausbildung von diesen Leuten mitgestalten lassen.

Überhaupt wundert mich, dass sich Medien und Politik dergestalt auf den Elementarbereich einschießen. Mein Verdacht: Lehrer würden sich eine solche Behandlung nicht gefallen lassen, also knöpft man sich die Erzieherinnen vor. Viel dringlicher als eine Reform der Erzieherausbildung wäre eine Reform der Lehrerausbildung für die Sekundarstufe. Bei Lehrern wird es auch nie geschehen, dass eine völlig neue Ausbildung konzipiert wird, die die jetzigen Lehrkräfte dequalifiziert.


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19.03.2004 10:59
avatar  Neudinho ( gelöscht )
#17
Ne
Neudinho ( gelöscht )

Hallo Wigbert,

>>>Mal ganz ehrlich: passt die Fachschulausbildung mit und ohne Lernfeld noch zur Bildungslandschaft des Elementarbereichs?

Steht der Elementarbereich als pars pro toto, oder meinst Du wirklich nur den Elementarbereich?


>>> Sie passt nicht, das wird heute von PolitikerInnen über GewerkschafterInnen bis hin zur Arbeitgeberseite betont.

Was Leute aus Politik und Gerwekschaft von sich geben, interessiert mich nicht. Fundiertes Wissen erkene ich in den wenigsten Fällen. Es reicht schon, daß ich mich danach richten muß...


>>> Die dabei ausgestoßene beschwörende und gebetsmühlenartig wiederholte Formel "Im europäischen Ausland wird die Erzieherin - außer in Österreich - auf Hochschulniveau ausgebildet" nützt aber nicht viel, weist allerdings darauf hin, dass unsere europäischen Nachbarn auch auf diesem Gebiet schon längst weiter sind.

Letztlich stellte sich dabei immer die Frage, welchen Stellenwert ich Kindern in einer Gesellschaft einräume. Momentan habe ich den Eindruck, Kinder dienen dazu, zukünftig unsere leeren Rentenkassen zu füllen.
Hätten Kinder einen anderen Stellenwert, stünde Deutschland in der PISA-Studie nicht so schlecht da...


>>> Warum geht es nicht voran? Es ist ein Tabu-Thema.

Ich sehe eher konzeptloses Herumwursteln.

>>>Viele Erzieherinnen fühlen sich durch eine solche Forderung diskriminiert

Ich weiß nicht, für wen Du sprichst, Für mich nicht...


>>> die Fachschulen bangen um ihre Existenzberechtigung

Wo ist das Problem? Den graasierenden Sparzwang gerade im sozialen Bereich halte ich wesentlich gravierender und folgenreicher.
Fachschulen, die von sich überzeugt sind, können sich der Diskussion mit breiter Brust stellen.


>>> viele konservative Poltiker sehen trotz andersartiger Äußerungen den Elementarbereich immer noch als Spielwiese für Kindergartentanten

...und darunter leidet der ganze Berufszweig. Auch wenn es in diesem Forum nicht unbedingt zum Ausdruck kommt:
Man kann sich als Erzieher/-in in der Kindergrippe, im Kindergarten, in der stationären Kinder- und Jugendhilfe, in der offenen Jugendarabeit und im Behindertenbereich (da arbeite ich) austoben. Habe ich etwas vergessen?
Und darin liegt in meinem Augen auch ein Problem:
Diese Ausbildung ist in meinen Augen zu viel zu pauschalierend. Die Schwerpunkte, die man im zweiten Jahr mitunter wählen kann, werden m.E. nicht vertieft.


>>> gleichzeitig stöhnen Fachschulen und Praxis gemeinsam über das weiter fallende Niveau von Auszubildenden in diesem Bereich.

Ich behaupte mal, daß vor 20 Jahren nicht anders gejammert wurde. Früher war eh alles besser, sogar die Zukunft... ;-) Diesen Punkt kann man IMHO getrost ignorieren.


>>> Wenn der Elementarbereich die Basis für weitere Bildung bedeutet ( ich will hier keine Konstruktivismus-Debatte lostreten, aber die Auseinandersetzung mit dem Bildungsbegriff sollte mal ernsthaft geführt werden), muss eine Hochschulausbildung her. Oder wie wäre es mit der Ausbildung von Lehrkräften auf Fachschulniveau? Diese Forderung würde niemand erheben.

Wenn sich alle einig wären, was Bildung bedeutet, bzw. was in disem Begriff alles zusammengefasst ist, wären wir einen wesentlichen Schritt weiter.
Dazu müsste man allerdings endlich mal beginnen, Bildungspolitik unter einem Hut zusammenzufassen. Es kann nach meinem Dafürhalten nicht sein, daß jedes Bundesland seine eigene Kleinstaaterei auf diesem Gebiet veranstaltet.

Wenn ich mir anschaue, wie lange diese Ausbildung dauert, kommt qualitativ zu wenig dabei heraus. Es ist sicherlich ein Vorteil, daß diese Ausbildung sehr viel Praxisanteile enthält. Die Lehramt-Studiengänge kranken u.a. nämlich daran, daß sie zu wenig Praxis enthalten, was mir so ziemlich alle Lehrer, die ich kenne, bestätigen.

Ich unterstütze die Forderung, diese Ausbildung, auf Hochschulniveau anzuheben.Das Argument, mir den anderen EU-Staaten auf einem Niveau zu stehen, ist dabei für mich eher zweitrangig (auch wenn das einiges vereinfacht).
Eine Gesellschaft ist es ihren Kindern schuldig, die für sie zuständigen Menschen bestmöglich auszubilden. Theorteische Hintergründe in Psycholgie, Pädagogik, Medizin, etc. müssen besser und intensiver vermittelt werden. Schwerpunkte wie Elternarbeit und Gesprächsführung müssen zu Pflichtfäöchern gemacht werden. Viele Erzieher/-innen haben einen Horror vor solchen Dingen, weil sie auf diesem Gebiet nicht geschult wurden.

Ich halte ein Einstiegsalter von 16 Jahren auch für eindeutig zu früh (auch wenn die Theorie erst mit 18 Jahren beginnt). Für Kinderpfleger/innen buw. Sozialassistenten mag das in Ordnung sein, aber ich halte es für verantwortungslos, 21-Jährige mit so viel Kompetenz (z.B. Gruppenleitung) auszustatten. Es ist mitunter auch nicht verwunderlich, daß Eltern, solche Personen nicht ernstnehmen.
Das mag jetzt sehr pauschalisierend klingen, weil es sicher genug Menschen in diesem Alter gibt, die diese Kompetenz auch haben. Aber letztlich schade ich diesem so wichtigen Berufszweig nur.
Eine gewisse Lebenserfahrung ist in deisem Bereich eminent wichtig!

Hinzu kommt, daß vermehr Soz-Päds in den Elementarbereich drängen. Leitungsaufgaben werden vermehrt an diese Leute vergeben. Das zteigt auch sehr deutlich, woran es in dieser Ausbildung hapert.

Ich halte es auch für schwierig, wenn Leute mit Mittlerer Reife Gymnasiasten in der Stationären Kinder- Jugendhilfe Hausuafgabenhilfe geben. Wie soll das funktionieren?

Da Du das Thema Tanten angesprochen hast: Es sind nicht die äußeren Umstände, die zu diesem Bild beitragen, sondern auch die Leute, die diesen Bereich repräsentieren (also wir)!
Würden wir uns besser verkaufen, wäre das Bild in der Gesellschaft auch besser! Und die für uns zuständigen Gewerkschaften sehe ich hier nicht als Lobbyisten für uns. Gerade die sog. Dienstleistungsgewerkschaft verdi hält sich in diesem Punkt mehr als zurück.

So viel von meiner Seite...

Gruß

Neudinho


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