Akademisierung der Ausbildung Erzieher/in

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02.10.2004 01:08
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#16
Ax
Axel ( gelöscht )

Eine Ausbildung auf Hochschulniveau würde es deutschen Erzieherinnen endlich ermöglichen, ihre Ausbildung auch im europäischen Ausland anerkennen zu lassen und die beruflichen Chancen eines vereinten Europas zu nutzen. Das ist im Erzieherberuf bislang leider kaum möglich. Gerade in diesem Bereich würde es sich aber lohnen, einmal über den nationalen Tellerrand zu blicken, zu erleben, wie andere Länder vorschulische Bildung gestalten.

Auch ein besseres Ansehen des Berufes ließe sich über eine Ausbildung an der Hochschule erreichen. Das wäre auch im Interesse der Kinder, denn eine Erzieherin, die nicht für voll genommen wird, hat weniger Möglichkeiten, ihre Fachlichkeit einzubringen oder an der bildungspolitischen Diskussion mitzuwirken. Vorbild ist für mich die Medizin. In Unikliniken wird nicht nur geheilt sondern auch geforscht und gelehrt. Analog könnte und sollte auch in der frühkindlichen Bildung Forschung aus der Praxis selbst kommen. Dazu braucht man Pädagogen, die wissenschaftlich ausgebildet sind. Man könnte dies über einen zweigliedrigen Studiengang realisieren. Ein praxisbezogener Bachelor für die breite Masse der Erzieherinnen, und ein wissenschaftlich orientierter Master für diejenigen, die forschen, lehren und publizieren wollen. So könnte z.B. eine Erzieherin, die einige Jahre erfolgreich in der Praxis tätig war, zurück an die Hochschule gehen, um selbst Erzieherinnen auszubilden. Zur Zeit haben die paradoxe Situation, das diejenigen, die Erzieherinnen ausbilden, als unqualifiziert gelten, den Erzieherberuf auszuüben.

Welche Theorie die "richtige" ist, muss sich im wissenschaftlichen Diskurs erweisen, der aber nicht in einem akademischen Elfenbeinturm stattfinden darf. Gerade deshalb wäre es sinnvoll, die Trennung zwischen akademisch gebildeten Pädagogen und Praktikern in den Tageseinrichtungen aufzuheben. Die "richtige" Theorie kann es in der Pädagogik ohnehin nicht geben, denn die Frage, was ein junger Mensch lernen soll, kann empirisch-wissenschaftlich nicht beantwortet werden. In der Pädagogik spielen immer auch normative Fragen eine Rolle.

Eine Anhebung der Ausbildung auf Fachhochschulniveau könnte sie auch attraktiver machen. Eine deutsche Abiturientin, die Erzieherin werden möchte, geht durch eine 4-jährige Ausbildung, von denen 3 Jahre nicht bezahlt werden. Ihre Ausbildung ist formal unter Abiturniveau, im Prinzip also ein Rückschritt. Mit nur einem Semester Mehraufwand, könnte sie ein akademisches Vollstudium abschließen. Das sind nicht die Rahmenbedingungen, mit denen man die begabtesten Köpfe für den Erzieherberuf gewinnt.

Fast alle Länder fahren gut damit, Erzieherinnen und Grundschullehrerinnen gemeinsam auszubilden. In Finnland käme niemand auf die Idee, die dortige Hochschulausbildung durch eine Fachschulausbildung nach deutschem Muster zu ersetzen. Die Frage nach dem Sinn einer Ausbildung an der Hochschule ist leider typisch deutsch. Typisch deutsch ist auch die sozialpädagogische Ausrichtung der Ausbildung, und die Idee, eine Fachkraft ausbilden zu wollen, die gleichermaßen im Kindergarten, im Hort, im Heim und im Jugendzentrum arbeiten kann.

Allerdings kenne ich sehr wohl gute Erzieherinnen, die nach der mittleren Reife ihre Ausbildung gemacht haben. Dem Pauschalurteil, junge Menschen seien per se nicht für diesen Beruf geeignet, mag ich mich nicht anschließen. Auch glaube ich nicht, dass die Ausbildung der Erzieherinnen das dringlichste Problem in der deutschen Frühpädagogik ist. Das Thema ist bei Politikern und Entscheidungsträgern beliebt, denn indem man die Qualität der gegenwärtigen Ausbildung in Frage stellt, und die Erzieherinnen somit für inkompetent erklärt, kann man die politische Verantwortung für die Rahmenbedingungen abwälzen, unter denen frühkindliche Bildung in Deutschland stattfinden muss. Die Erzieherinnen sind schuld, weil sie keine Ahnung haben, wie man den Job richtig macht. Darum glaube ich nicht, dass demnächst eine Ausbildung auf Hochschulniveau kommt. Die "dumme" Erzieherin ist eine viel zu bequeme Ausrede für schlechte Bildungspolitik.


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02.10.2004 01:54
avatar  Neudinho ( gelöscht )
#17
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Neudinho ( gelöscht )

Hallo Axel,

ich stimme in den meisten Punkten, die Du hier aufführst, mit Dir überein. Bei einigen Punkten möchte ich einhaken bzw. ergänzen:


---Allerdings kenne ich sehr wohl gute Erzieherinnen, die nach der mittleren Reife ihre Ausbildung gemacht haben. Dem Pauschalurteil, junge Menschen seien per se nicht für diesen Beruf geeignet, mag ich mich nicht anschließen.

Die kenne ich auch. Das war auch sehr pauschal von mir herausposaunt, keine Frage. Ich bezweifle indes auch nicht die Fähigkeit, aber ich bezweifle, und da kommen wir wieder an den Punkt, Fachlichkeit und sicher auch Respekt, den Eltern Erzieherinnen bisweilen nicht entgegenbringen.
Und die Ausbildung bietet nicht das Rüstzeug, daß Menschen, egal welchen Alters, befähigt, den vielfältigen Anforderungen in den den verschiedenen Bereichen (ich mußte mir, als ich im Behindertenbereich anfing, so ziemlich alles von der Piquè auf lernen, und das nach fünf Jahren Erzieher-Ausbildung!!!) gerecht zu werden. Und je jünger die Menschen sind, desto weniger sind Eltern mitunter gewillt, sinnvolle pädagogische Ratschläge anzunehmen. Ich habe es schon erlebt, daß Eltern vor dem versammeltem Team ihr Mißfallen über die Jugendlichkeit der Mitarbeiterinnen geäußert haben.
Und es fällt mir auch auf, wieviele Erzieherinnen unmittelbar nach der Ausbildung oder später diesen Berufszweig wieder verlassen. Die Gründe sind nicht nur in Schwangerschaften und der Erziehung der eigenen Kinder zu suchen... Warum das so ist, wird anscheinend nicht ermittelt...


--- Auch glaube ich nicht, dass die Ausbildung der Erzieherinnen das dringlichste Problem in der deutschen Frühpädagogik ist.

Es ist eines von vielen Problemen, die in der Fühpadagogik beginnen und beim Gymnasium nicht enden...
Es sind nicht nur die Rahmenbedingungen für die Ausbildsung miserabel, es fehlt einfach allgemein an Respekt den Kindern (und damit auch Familien) gegenüber. Es werden ja nicht mal Versuche unternommen, Bedingungen zu schaffen, die es Eltern / Alleinerziehenden ermöglichen, sich um die Erziehung ihrer Kind zumindest teilweise selber (und nicht nur abends und am Wochenende) zu kümmern. Die Schaffung von Kindergartenplätzen mag politisch sehr opportun sein, aber letztlich ist es nichts anderes als Populismus. Außerdem zieht man die Eltern zu sehr aus der Verantwortung, aber vielleicht ist das ja gewollt... Ich könnte manchmal kotzen, wenn man sich damit rühmt, Öffnungszeiten von 7 - 18 Uhr anbieten zu können...
Ich habe auch nicht den Eindruck, daß man gewillt ist, wissenschaftliche Erkenntnisse wahrzunehmen und daraus Konzepte zu entwickeln.


--- Darum glaube ich nicht, dass demnächst eine Ausbildung auf Hochschulniveau kommt.

Daran habe ich auch so meine Zweifel. Vor allem ist es in erster Linie mit Kosten verbunden, für die eh kein Geld da ist


--- Die "dumme" Erzieherin ist eine viel zu bequeme Ausrede für schlechte Bildungspolitik.

...und diese Ausrede fällt trotzdem auf die politischen Entscheidungsträger zurück. Das ist nichts anderes als ein verbaler Bumerang.

Ein weiteres Problem ist in meinen Augen der Föderalsimus. Es will mir immer weniger in den Kpof rein, daß Bildung und Erziehung Ländersache sind. Man muß sich nicht wundern, wenn aus einer Kultusminister-Konferenz auch rund drei Jahre nach Veröffentlichung der PISA-Studie keine nennenswerten Impulse kommen. (Damit will ich nicht behaupten, daß aus dem Vermittlungsausschuß besere Vorschläge kämen...)
Aber ich halte es für fatal, daß ein ganz wesentlicher Punkt (wenn nicht der vielleicht wichtigste) den Ländern überlassen werden, mit dem Resultat, daß im Prinzip gleiche Abschlüsse je nach Bundeslnad verschieden gewichtet.

Gruß
Neudinho


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02.10.2004 13:49
avatar  Axel ( gelöscht )
#18
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Axel ( gelöscht )

-- Die kenne ich auch. Das war auch sehr pauschal von mir herausposaunt, keine Frage. Ich bezweifle indes auch nicht die Fähigkeit, aber ich bezweifle, und da kommen wir wieder an den Punkt, Fachlichkeit und sicher auch Respekt, den Eltern Erzieherinnen bisweilen nicht entgegenbringen.

Auch das ist ein typisch deutsches Problem. In anderen Ländern hat man mit 17 Jahren Abitur und mit 21 Jahren ein akademisches Vollstudium abgeschlossen, und damit ist der Weg offen in verantwortungsvollste Positionen, z.B. auch in den Lehrerberuf. In Deutschland treten junge Menschen ohnehin zu spät in den Beruf ein. Wenn die Fachlichkeit in dem Alter noch nicht gegeben ist, muss man junge Menschen eben so ausbilden, dass an ihrer Fachlichkeit kein Zweifel besteht. Wenn der Vater eines Kindes sein Ingenieursstudium selbst mit 21 Jahren abgeschlossen hat, dann wird er sich wenig wundern, dass man in diesem Alter Erzieherin sein kann.

-- Und die Ausbildung bietet nicht das Rüstzeug, daß Menschen, egal welchen Alters, befähigt, den vielfältigen Anforderungen in den den verschiedenen Bereichen (ich mußte mir, als ich im Behindertenbereich anfing, so ziemlich alles von der Piquè auf lernen, und das nach fünf Jahren Erzieher-Ausbildung!!!) gerecht zu werden.

Weil es einfach absurd ist, so viele verschiedene Arbeitsbereiche mit nur einer Ausbildung abdecken zu wollen. Auch hier ist man im Ausland schlauer, und bildet Fachkräfte für Frühpädagogik UND sozialpädagogische Fachkräfte aus. In meiner Klasse klaffte schon ein Graben zwischen den Heimleuten und den Kindergärtnern. Die Heimleute klagten zu Recht, dass sich der Unterricht um Kindergartenthemen drehte, die ihnen wenig nützten. Die Mitschülerinnen, die in integrativen Kindergärten arbeiteten, beklagten sich, dass auf ihre besonderen beruflichen Herausforderungen kaum eingegangen wurde. Bei uns gipfelte das letztlich in dem Vorschlag, wenigstens den Wahlpflichtunterricht zu öffnen, so dass an die Stelle des Schulbesuchs auch Fortbildungen bei externen Trägern treten konnten. Was daraus geworden ist, weiß ich nicht.

-- Und je jünger die Menschen sind, desto weniger sind Eltern mitunter gewillt, sinnvolle pädagogische Ratschläge anzunehmen. Ich habe es schon erlebt, daß Eltern vor dem versammeltem Team ihr Mißfallen über die Jugendlichkeit der Mitarbeiterinnen geäußert haben.

Wie gesagt: Ein deutsches Problem. Weil bei uns ein Chemiker erst mit Ende dreißig vom Fließband rollt und dann als Berufsanfänger gilt, bilden wir uns ein, das müsste in allen Bereich so sein. Im Ausland lacht man darüber, dass bei uns Volljährige noch als Schüler gelten, die sich selbst krankschreiben dürfen.

-- Und es fällt mir auch auf, wieviele Erzieherinnen unmittelbar nach der Ausbildung oder später diesen Berufszweig wieder verlassen. Die Gründe sind nicht nur in Schwangerschaften und der Erziehung der eigenen Kinder zu suchen... Warum das so ist, wird anscheinend nicht ermittelt...

Jedenfalls nicht am Alter, denn in anderen Ländern fährt man gut damit. Man könnte jetzt argwöhnen, dass es an der schlechten Ausbildung liegt, die einfach nicht die nötigen Fähigkeiten vermittelt, so dass man ständig überfordert ist. Ich finde die Ausbildung aber gar nicht so schlecht, und komme gut damit zurecht. Vor allem ist sie im internationalen Vergleich sehr praxisbezogen, und das ist eine Stärke, an der man festhalten sollte. Mein Verdacht ist eher, dass durch das niedrige formale Niveau viele Bewerber angezogen werden, die ungeeignet sind; die vielleicht den Erzieherberuf nur ergreifen, weil sie keine anderen Ideen oder Möglichkeiten haben. Nimm die selbe Ausbildung, aber wähl die Bewerber nach strengen Kriterien aus, und schon könntest du auf ganz anderem Niveau arbeiten. Ich fühlte mich im Unterricht immer gebremst und die Lehrer mussten auf die allgemeine Unlust Rücksicht nehmen. Solche Probleme gibt es anderswo nicht, denn dort drücken die Studenten pro Jahr 3000 Euro Studiengebühren ab, für die sie einen Kredit aufgenommen haben. Da kommt man im Unterricht nicht auf die Idee, Gameboy zu spielen.

-- Es sind nicht nur die Rahmenbedingungen für die Ausbildsung miserabel, es fehlt einfach allgemein an Respekt den Kindern (und damit auch Familien) gegenüber. Es werden ja nicht mal Versuche unternommen, Bedingungen zu schaffen, die es Eltern / Alleinerziehenden ermöglichen, sich um die Erziehung ihrer Kind zumindest teilweise selber (und nicht nur abends und am Wochenende) zu kümmern.

Wie sollen diese Rahmenbedingungen denn aussehen. Ein höheres Kindergeld? Ich halte das für reaktionäre Familienpolitik. Mit einer Geldprämie sollen Frauen dazu bewegt werden, auf die Teilnahme am Berufsleben und die damit verbundenen Lebenschancen zu verzichten. Wer arbeiten will, gibt fast das ganze Kindergeld für den Tagesstättenplatz aus. In anderen Ländern gibt es mehr Kinderkrippen und die ganztägige Berufstätigkeit der Frau ist völlig normal. Einfach mal nach Finnland fliegen und in einem dortigen Kindergarten hospitieren. Flug mit Ryanair gibt's schon ab 15 Euro. Nein, wir brauchen mehr Kindergärten- und Krippenplätze, damit Beruf und Familie sich endlich verbinden lassen. Eine junge Ärztin gibt doch nicht ihren Beruf auf, um Hausfrau und Mutter zu sein. Wenn man so etwas will, darf man sich über sinkende Geburtenraten nicht wundern. Auch nicht darüber, dass ausgerechnet die Leute Kinder bekommen, die wirtschaftlich betrachtet nicht viel zu verlieren haben. Die langen Ausbildungszeiten hängen übrigens auch damit zusammen. Frau muss heute ja bis 30 warten, um ihr erstes Kind mit gutem Gewissen bekommen zu können. Sie muss ihre Ausbildung beenden und Berufserfahrung sammeln, bevor sie Kinder bekommt, sonst kommt sie nicht mehr in den Arbeitsmarkt rein. In Skandinavien ist es dagegen nicht ungewöhnlich, dass Studenten bereits heiraten, Kinder bekommen, und trotzdem in hochqualifizierten Berufen landen. Nur in Deutschland gilt es als familienfreundlich, dass Familien von staatlichen Almosen leben sollen.

-- Ich habe auch nicht den Eindruck, daß man gewillt ist, wissenschaftliche Erkenntnisse wahrzunehmen und daraus Konzepte zu entwickeln.

Bei mir in der Schule war zwar von Hirnforschung immer wieder mal die Rede, aber in der Regel in der Form: "Die Hirnforschung hat ergeben, dass..."
So etwas kann man natürlich immer behaupten. Aber wer hat geforscht und wo? Mit welchen Methoden? Mit welchem Ergebnissen? Wie wurden die Ergebnisse interpretiert? Welches Sample lag der Studie zugrunde? Warum glauben wir, dass die Ergebnisse übertragbar sind? Wie kann man die Forschungsergebnisse in praktisches pädagogisches Handeln einfließen lassen? Ist empirisch überprüft worden, ob die so entwickelte Praxis tatsächlich hält, was sie verspricht? Ich glaube, deutsche Erzieher sind weit davon entfernt, auch nur das begriffliche Rüstzeug für evidence-based practise zu erwerben.

-- Daran habe ich auch so meine Zweifel. Vor allem ist es in erster Linie mit Kosten verbunden, für die eh kein Geld da ist

Zustimmung.

-- ...und diese Ausrede fällt trotzdem auf die politischen Entscheidungsträger zurück. Das ist nichts anderes als ein verbaler Bumerang.

Im Grunde ja. Allerdings geht mein nationaler Selbsthass sehr weit. Ich halte uns für gedankenlos genug, um immer wieder auf so etwas reinzufallen.

--Ein weiteres Problem ist in meinen Augen der Föderalsimus. Es will mir immer weniger in den Kpof rein, daß Bildung und Erziehung Ländersache sind. Man muß sich nicht wundern, wenn aus einer Kultusminister-Konferenz auch rund drei Jahre nach Veröffentlichung der PISA-Studie keine nennenswerten Impulse kommen. (Damit will ich nicht behaupten, daß aus dem Vermittlungsausschuß besere Vorschläge kämen...)

Traurig aber wahr.


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03.10.2004 02:03
avatar  Neudinho ( gelöscht )
#19
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Neudinho ( gelöscht )

Moin Alex,

--- In Deutschland treten junge Menschen ohnehin zu spät in den Beruf ein. Wenn die Fachlichkeit in dem Alter noch nicht gegeben ist, muss man junge Menschen eben so ausbilden, dass an ihrer Fachlichkeit kein Zweifel besteht.

Möglichkeiten dazu gibt es: Bundesweite Einführung des achstufigen Gymnasiums und Abschaffung der Wehrpflicht... Damit wären, wenn es gut läuft, schon mal zwei Jahre gewonnen...


--- Weil es einfach absurd ist, so viele verschiedene Arbeitsbereiche mit nur einer Ausbildung abdecken zu wollen. Auch hier ist man im Ausland schlauer, und bildet Fachkräfte für Frühpädagogik UND sozialpädagogische Fachkräfte aus.

Es wäre als erster Schritt schon eine Menge gewonnen, die Ausbildung besser zu differenzieren bzw. in verschieden Bereiche zu unterteilen.


--- Ich fühlte mich im Unterricht immer gebremst und die Lehrer mussten auf die allgemeine Unlust Rücksicht nehmen. Solche Probleme gibt es anderswo nicht, denn dort drücken die Studenten pro Jahr 3000 Euro Studiengebühren ab, für die sie einen Kredit aufgenommen haben. Da kommt man im Unterricht nicht auf die Idee, Gameboy zu spielen.

Ich halte nichts davon, Hürden finanzieller Art zur Bildung zu schaffen, weil damit einer Zwei-Klassen-Gesellschaft unnötig Vorschub geleistet wird. Eine Studienzeitbegrenzung halte ich da für angebrachter.


--- Wie sollen diese Rahmenbedingungen denn aussehen. Ein höheres Kindergeld? Ich halte das für reaktionäre Familienpolitik. Mit einer Geldprämie sollen Frauen dazu bewegt werden, auf die Teilnahme am Berufsleben und die damit verbundenen Lebenschancen zu verzichten.

Von Frauen zurück an den Herd habe ich nichts geschrieben...


--- Wer arbeiten will, gibt fast das ganze Kindergeld für den Tagesstättenplatz aus.

Das ist auch so ein Unfug, den ich nicht verstehe. Schulgeld wird nicht erhoben, weil es Schulpflicht gibt. Kindergartenbeiträge werden erhoben, weil es Privatvergnügen der Eltern ist? Das ist staatlich geförderte Doppelmoral! Wären die Einrichtungen Kostenfrei, könnten es sich Eltern auch leisten, ein paar Stunden weniger zu arbeiten und somit mehr Zeit für ihre Kinder haben.
Und darauf will ich hinaus:
Ich setze doch kein Kind in die Welt, um es dann den ganzen Tag (am besten schon 12 Wochen nach der Gebuurt) in eine Einrichtung zu geben, weil ich / wir die Familie im Extremfall ansonsten nicht ernähren könnten. Und da können die Einrichtung noch so gut und die Leute, die dort arbeiten, noch so qualifiziert und kompetent sein. Aber es tellt für mich kein Zeil dar, mein Kind den ganzen Tag in eine Einrichtung zu geben.

Wo sind die vielen so flexiblen Arbeitszeitmodelle? Auf dem Papier existieren unheimlch viele. In der Praxis schaut es leider anders aus. Jemand, der nur halbtags arbeiten will, wird Probleme haben, ohne Organisationnstreß Arbeits- und Kindergartenhalbtagsplatz unter einen Hut zu bekommen. Vor allem wenn man alleinerziehend ist.
Gerade pädagogische Einrichtungen bieten da für Mitarbeiterinnen sehr wenig Möglichkeiten. Das ist vielleicht auch ein Grund, warum viele nach der Schwangerschaft nicht zurückkehren.

--- In anderen Ländern gibt es mehr Kinderkrippen und die ganztägige Berufstätigkeit der Frau ist völlig normal.

Wie gesagt; das ist nicht der Punkt auf den ich hinauswollte. Allerdings forder e ich ein, daß die Rahmenbedingungen für Väter, die für eine bestimmte Zeit nur teilzeit arbeiten wollen oder die Erziehungszeit komlett in Anspruch nehmen wollen, fairer behandelt werden. Aber das liegt wohl auch uns Männern selber, dies vehementer einzufordern, bzw. es einfach zu machen.


--- Nur in Deutschland gilt es als familienfreundlich, dass Familien von staatlichen Almosen leben sollen.

Ich spreche nicht von Almosen, sondern von einer Familienpolitik, die Kinder nicht ausschließlich als potentielle Rentenkassenzahler betrachtet.


---Bei mir in der Schule war zwar von Hirnforschung immer wieder mal die Rede, aber in der Regel in der Form: "Die Hirnforschung hat ergeben, dass..."
So etwas kann man natürlich immer behaupten. Aber wer hat geforscht und wo? Mit welchen Methoden? Mit welchem Ergebnissen? Wie wurden die Ergebnisse interpretiert? Welches Sample lag der Studie zugrunde? Warum glauben wir, dass die Ergebnisse übertragbar sind? Wie kann man die Forschungsergebnisse in praktisches pädagogisches Handeln einfließen lassen? Ist empirisch überprüft worden, ob die so entwickelte Praxis tatsächlich hält, was sie verspricht? Ich glaube, deutsche Erzieher sind weit davon entfernt, auch nur das begriffliche Rüstzeug für evidence-based practise zu erwerben.

Und das sind Elemente, die sich durchaus in das jetzige Ausbildungsschema integrieren lassen.


Gruß
Neudinho


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04.10.2004 01:43
avatar  Axel ( gelöscht )
#20
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Axel ( gelöscht )

Wie üblich liegen wir nicht so weit auseinander. Hierzu muss ich aber noch etwas loswerden:
-- Ich halte nichts davon, Hürden finanzieller Art zur Bildung zu schaffen, weil damit einer Zwei-Klassen-Gesellschaft unnötig Vorschub geleistet wird. Eine Studienzeitbegrenzung halte ich da für angebrachter.

Das gebührenfreie Studium hat nicht verhindern können, dass gerade in Deutschland Bildungschancen sehr ungleich verteilt sind. Ich war früher selbst gegen Studiengebühren, aus den gleichen Gründen wie du. Nur glaube ich mittlerweile nicht mehr daran, dass das gebührenfreie Studium tatsächlich zur Chancengleichheit in der Bildung beiträgt. Eher vermute ich, dass hier die Kinder reicher Eltern von denjenigen subventioniert werden, die niemals eine Chance zu studieren hatten. Aus diesem Grund ist die Forderung nach einem gebührenfreien Studium in vielen Ländern eine konservative Position, so z.B. in Ungarn. Es gibt andere und wirksamere Möglichkeiten, für sozialen Ausgleich zu sorgen, z.B. Stipendien und zinsgünstige Kredite, vor allem aber eine vernünftige Schulbildung und verlässlich planbare, kurze Studiengänge.

Von einer Beschränkung der Studienzeit halte ich gar nichts. Der Staat darf seinen Bürgern nicht vorschreiben, wie viel und wie lange sie lernen dürfen. Der Staat kann und soll aber dafür sorgen, dass Studenten ihr Studium zügig beenden können. Ich habe selbst mehrfach erlebt, dass Pflichtveranstaltungen derart überlaufen waren, dass die Plätze verlost wurden. Wer da nicht gezogen wurde, hatte eben Pech gehabt und musste länger studieren.

Auch wenn ich Studiengebühren grundsätzlich für sozial gerecht halte, bedeutet das nicht, dass ich die gegenwärtige Regelung unterstütze. Gerade Studenten aus armen Familien müssen häufig neben dem Studium jobben, um ihre Lebenshaltungskosten zu bestreiten. In Verbindung mit katastrophalen Studienbedingugnen führt das zu langen Studienzeiten, für die sie dann noch bestraft werden, indem sie Studiengebühren zahlen sollen, die nicht einmal der Universität zufließen. Studenten mit wohlhabenden Eltern haben dagegen größere Chancen, ihr Studium fristgerecht zu beenden und Studiengebühren völlig zu vermeiden. Was uns als sozial gerechte Regelung verkauft wird, läuft im Endeffekt wieder darauf hinaus, das ärmere Leute die Ausbildung von Eliten subventionieren sollen. So wie die Dinge in Deutschland liegen, bin ich auch gegen Studiengebühren, denn die deutschen Unis sind keine Gebühren wert.


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04.10.2004 16:01
avatar  Neudinho ( gelöscht )
#21
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Neudinho ( gelöscht )

Moin Alex,

wir liegen in der Tat nich so weit auseinander. Bedauerlich finde ich lediglich, daß sich sonst niemand an der Diskussion beteilgt. Tanzt das Thema so aus der Reihe?

--- Nur glaube ich mittlerweile nicht mehr daran, dass das gebührenfreie Studium tatsächlich zur Chancengleichheit in der Bildung beiträgt. Eher vermute ich, dass hier die Kinder reicher Eltern von denjenigen subventioniert werden, die niemals eine Chance zu studieren hatten.

Hier stehe ich nach dem dritten Durchlesen auf dem Schlauch. Kannst Du das näher erläutern?


--- Aus diesem Grund ist die Forderung nach einem gebührenfreien Studium in vielen Ländern eine konservative Position, so z.B. in Ungarn.

Ich finde konservativ nicht bgrundsätzlich eine schlechte Haltung, solange sie nicht in Stillstand und Dogmatismus verharrt. Zu Ungarn kann ich nichts sagen...


--- Es gibt andere und wirksamere Möglichkeiten, für sozialen Ausgleich zu sorgen, z.B. Stipendien und zinsgünstige Kredite,

Es ist aber eher so, daß die BaföG-Hürden höher als niedriger werden.


--- vor allem aber eine vernünftige Schulbildung und verlässlich planbare, kurze Studiengänge.

D'accord.


--- Von einer Beschränkung der Studienzeit halte ich gar nichts. Der Staat darf seinen Bürgern nicht vorschreiben, wie viel und wie lange sie lernen dürfen.

Okay, das ist ein überzeugendes Argument.


--- Der Staat kann und soll aber dafür sorgen, dass Studenten ihr Studium zügig beenden können. Ich habe selbst mehrfach erlebt, dass Pflichtveranstaltungen derart überlaufen waren, dass die Plätze verlost wurden. Wer da nicht gezogen wurde, hatte eben Pech gehabt und musste länger studieren.

Ein leidiges, altes Thema, das man immer noch nicht aus der WeElt schaffen konnte. Und die Rahmenbedingungen werden durch das Zusammenlegen von Fakuläten eher schlechter als besser.


--- So wie die Dinge in Deutschland liegen, bin ich auch gegen Studiengebühren, denn die deutschen Unis sind keine Gebühren wert.

Welche Länder haben denn gute Unis (und warum)? Hier würden mich einfach Beispiel interessieren, auch wenn wir uns damit vollkommen vom ursprünglichen Thema entfernen.

Gruß
Neudinho


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05.10.2004 18:12
avatar  Axel ( gelöscht )
#22
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Axel ( gelöscht )

--- Nur glaube ich mittlerweile nicht mehr daran, dass das gebührenfreie Studium tatsächlich zur Chancengleichheit in der Bildung beiträgt. Eher vermute ich, dass hier die Kinder reicher Eltern von denjenigen subventioniert werden, die niemals eine Chance zu studieren hatten.

-- Hier stehe ich nach dem dritten Durchlesen auf dem Schlauch. Kannst Du das näher erläutern?

In Deutschland ist der erreichte Bildungsgrad in besonders ausgeprägter Weise von der sozialen Herkunft abhängig, stärker als in vielen Ländern, in denen Studiengebühren erhoben werden. Deutschland hat darüber hinaus eine sehr niedrige Akademikerquote. Der behauptete soziale Ausgleich tritt also de facto nicht ein. Das gebührenfreie Studium hält nicht, was es verspricht.

Universitäten werden hierzulande vom Staat finanziert, d.h. von der Gemeinschaft aller Steuerzahler. Steuern zahlen auch diejenigen, die keine Uni besuchen können oder dürfen. Daher subventionieren Niedrigqualifizierte das gebührenfreie Studium der Mittel- und Oberschicht. Sie zahlen dafür, dass eine elitäre Sozialstruktur reproduziert wird.

In England zahlt man für ein Vollzeitstudium pro Jahr ca. 1500 Euro Gebühren. Die Lebenshaltungskosten eines Studenten erreichen in Deutschland mühelos 500 Euro pro Monat, in den meisten Städten dürften 800 Euro wesentlich realistischer sein. Man darf also davon ausgehen, dass die reine Lebenshaltung mindestens das vierfache von Studiengebühren kostet. Hinzu kommen Einnahmeausfälle, die der Student in Kauf nimmt, indem er über Jahre hinweg aus die Ausübung einer regulären Tätigkeit verzichtet. Das sind die eigentlichen Kosten des Studiums. Die Gebühren sind demgegenüber Peanuts. Diese eigentlichen Kosten fallen umso höher aus, je länger das Studium dauert. In Deutschland liegt die Regelstudienzeit der meisten Studiengänge bei 9 Semestern. Faktisch liegt sie wesentlich höher. In England kann man wesentlich früher einen Abschluss erlangen, der auf dem Arbeitsmarkt etwas wert ist. Allgemein üblich ist das bachelor's degree, dass man verlässlich in 3 Jahren erlangen kann. Es gibt auch die neuen foundation degrees, die in nur 2 Jahren abgeschlossen werden. Doch selbst wer einen Master machen möchte, braucht auf keinen Fall mehr als 9 Semester. Diese kurzen Studienzeiten sparen sehr viel Geld. Daher ist das Studium in England selbst mit Studiengebühren wesentlich billiger als in Deutschland.

Die langen Studienzeiten haben zum Teil etwas mit starren Studienordnungen zu tun. Vor allem aber mit katastrophalen Studienbedingungen. Die Studienbedingungen könnte man verbessern, indem man mehr Personal beschäftigt und die Unis besser ausstattet. Studiengebühren könnten eine sinnvolle Investition des Studenten in bessere Studienbedingungen sein, die sich durch kürzere Studienzeiten um ein vielfaches auszahlt. Für ein praxisbezogenes Kurzstudium von nur 3 Jahren kann auch einen Kredit aufnehmen. In anderen Ländern fährt man jedenfalls gut damit, produziert mehr Absolventen, weniger Studienabbrecher und hat bemerkenswerterweise sogar mehr Absolventen aus einkommensschwachen Schichten.

Bevor man jetzt in Deutschland die Studenten allgemein zur Kasse bittet, sollte etwas bedenken: Bei uns kommen Studiengebühren nicht der Hochschule zu Gute sondern verschwinden im Landeshaushalt. Der Student darf zahlen, und muss sich trotzdem mit überfüllten Seminaren, überforderten Dozenten und veralteten Bibliotheken herumschlagen. Bei uns sind Studiengebühren einfach eine Steuer. Es ist in der Tat nicht sinnvoll, für einkommensschwache durch eine Bildungssteuer zusätzliche Hürden zu errichten. Auch dürfen deutsche Studenten nicht damit rechnen, dass ihnen in absehbarer Zeit kurze und praxisbezogene Studiengänge zur Verfügung stehen. Hinzu kommt die Mentalität deutscher Arbeitgeber, Bewerber möglichst genau entsprechend ihrer Qualifikation beschäftigen zu wollen. Wer beispielsweise Theologie studiert hat und in einer Unternehmensberatung arbeiten will, wird erst einmal misstrauisch beäugt. In anderen Ländern ist man dort flexibler. In England findet man nichts dabei, wenn ein Biologe sich als Netzwerkadministrator bewirbt. Insofern haben die Absolventen dort auch gute Chancen, nach ihrem Studium nicht als Dr. Arbeitslos zu enden.


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07.10.2004 00:08
avatar  Neudinho ( gelöscht )
#23
Ne
Neudinho ( gelöscht )

Hallo Alex,

jetzt hab ich es begriffen...

Gruß
Neudinho


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